Emotionaler Rückblick 1.0
Es waren noch drei Wochen bis zu meinem 16. Geburtstag. Noch drei Wochen bis ich den blauen kurzen Wickelrock und das bauchfreie schwarze Oberteil tragen würde. Noch drei Wochen bis ich offiziell in die Disko durfte. Noch drei Wochen bis ich endlich als Erwachsene angesehen würde, zumindest dachte ich so. Drei Wochen können manchmal eine Ewigkeit dauern – in meinem Fall vergingen sie wie im Schlaf, und das meine ich wortwörtlich.
Es war der 22. Februar 1997, der mein Leben schlagartig und grundlegend veränderte. Und nicht nur für mich änderte sich alles, was ich damals natürlich gar nicht für voll nahm. Heute weiß ich aber, dass sich auch für meine Familie vieles geändert hat.
Was haben meine Eltern für Ängste ausgestanden, als die Polizei nachts vor der Tür stand und ihnen mitteilte, dass ihre Tochter einen Unfall hatte? Was müssen sie für Sorgen gehabt haben, als sie mich im Krankenhaus sahen und die Ärzte ihnen sagten, wie schlimm es um mich steht? Dass ich sehr wahrscheinlich nie wieder gehen werde, den Rest meines Lebens gelähmt sein und im Rollstuhl verbringen werde? Dass ich von nun an ständig auf Hilfe angewiesen sein werde? Ich bin jetzt selbst Mama und möchte niemals durchleben, was meine Eltern damals durchlebt haben! Heute finde ich es bewundernswert, dass sie die ganze Zeit zusammengehalten haben. Sie hatten es mit Sicherheit nicht leicht. Es gab ja auch noch meine zwei jüngeren Schwestern, um die sie sich kümmern mussten. Der ständige Spagat zwischen den Besuchen im Krankenhaus und dann noch der Alltag zu Hause – das alles muss eine harte Belastungsprobe gewesen sein, auch für meine Eltern als Liebespaar.
Es war etwa die Zeit um meinen Geburtstag mitte März, als mich die Ärzte aus dem künstlichen Koma holten. Da wusste ich nicht, was passiert war, geschweige denn wie es um mich stand. Ich kann mich bis heute nicht daran erinnern, WANN oder WIE mir gesagt wurde, dass ich querschnittgelähmt sein werde. Ich habe meine Eltern auch nie danach gefragt. Zu sehr befürchte ich, sie wieder an die schrecklichen Bilder von mir kurz nach dem Unfall zu erinnern.
Ich habe ihn also verschlafen, meinen 16. Geburtstag, auf den ich mich so sehr gefreut hatte. Anstatt meine Jugend nun auf Parties und in Diskos mit Freunden zu genießen, verbrachte ich ein Jahr mit der Reha. Alles musste ich neu lernen – vom selbständigen Atmen, über das Sprechen bis zum Essen, Sitzen und Zähne putzen und noch vieles mehr. Eigentlich Kleinigkeiten, die man als gesunder Mensch für selbstverständlich hält. Ich kam mir jedoch nicht selten wie ein kleines Kind vor. Unzählige Male war ich am Verzweifeln. Und doch versuchte ich, ein fröhliches Mädchen zu bleiben. Langsam machte ich Fortschritte, entwickelte hier und da Techniken, um auch im Alltag irgendwie zurechtzukommen. Doch das große Ziel, die Reha-Klinik laufend zu verlassen, blieb aus. Heute bin ich der Meinung, dass ich stolz auf mich sein kann. Ja ich kann tatsächlich stolz darauf sein, was ich erreicht habe. Es ist nicht immer leicht und es gibt hin und wieder Momente, in denen ich niedergeschlagen und traurig bin, weil ich nicht mehr laufen kann, weil ich sovieles nicht mehr machen kann. Aber ich weiß eben auch, dass es weitergeht und ein neuer Tag kommt. Das Leben hat noch so einiges zu bieten und darauf freue ich mich.
Außerdem bin ich aber nicht nur auf mich stolz, sondern ganz besonders auch auf meine Eltern und Schwestern, die diese schlimme ungewisse Zeit mit mir durchgestanden haben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle vor allem meiner Familie für die immerwährende liebevolle Unterstützung danken, aber auch den Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten für ihre tägliche Arbeit am Patienten!
 
                         
                        